Hannes Pohlit – Komponist, Pianist und Dirigent, sowie Dozent an der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar – Rezension zum ‘venezianischen Abend’ bei Steingraeber im März:
Höchst erfolgreicher Erstauftritt
Meisterkonzert der Klavier-Klasse von Prof. Igor Cognolato im Kammermusiksaal der Steingraeber Klaviermanufaktur am 7. März 2024
Das Conservatorio Benedetto Marcello in Venedig hat eine lange und bedeutende Tradition in der Geschichte der Klaviermusik. Hier lehrte einst Arturo Benedetti Michelangeli und Béla Bartók gab im Konzertsaal des Konservatoriums einen Klavierabend. Heute ist Prof. Igor Cognolato, als Solist und Kammermusiker international gefragter Pianist sowie Dozent und Juror bei europäischen Meisterkursen und Wettbewerben, Inhaber des Lehrstuhls für Klavier. Am 7. März war er mit seiner Klavier-Klasse zu Gast in Bayreuth für ein bravouröses Meisterkonzert im Kammermusiksaal der Steingraeber Klaviermanufaktur, in dem sich vier seiner Studierenden als für ihr junges Alter zwischen 23 und 25 Jahren erstaunlich reife Künstlerpersönlichkeiten vorstellten.
Allen voran steht Simone Mao, geboren 1999, der sich zunächst mit der Polonaise-Fantaisie op. 61 von Frédéric Chopin als feinsinniger Poet vorstellt und später mit Franz Liszts „Totentanz“ in der Fassung für Klavier solo den unbestrittenen Höhepunkt des Konzertabends bietet. Um den jungen Virtuosen zu beschreiben, dürfte dem Konzertbesucher als erstes der Begriff „Überlegenheit“ einfallen. Simone Mao stehen alle erdenklichen Mittel der Klaviertechnik zur Verfügung in einer einzigartigen Balance aus Inspiration und Kontrolle: Seine Hände fliegen über die Tastenlandschaft immer geleitet von einem starken Geist, der die Musik quasi nachkomponiert und den Flügel zu einem Orchester werden lässt.
Besonders hingewiesen werden muss auch auf Lucia Canali, geboren 1998, die auf hinreißende Weise leidenschaftliches südländisches Temperament, Klangsinnlichkeit und Formgefühl zu verbinden weiß und sich mit gleich zwei Stücken abseits des konventionellen Kanons – Alberto Ginasteras wilder, rhythmisch komplexer Sonate Nr. 1 op. 22 und dem entspannten Jazz-Walzer „Vaidosa N° 1“ des brasilianischen Komponisten Radames Gnattali (1906-1988) vorstellt. Mit ihrer Energie und Klangfantasie, ebenso mit ihrer Vorliebe für diese Repertoire-Entdeckungen empfiehlt sie sich als besonders individuelle Persönlichkeit.
Davide Vio, Jahrgang 1999, steht seinen beiden Kommilitonen an technischer Meisterschaft, an Brillanz und geistiger Durchsicht der Musik in nichts nach. Mit der Mazurka op. 33 N°4 von Chopin leitet er das Konzert ein und zeigt sich zunächst als wahrer Poet und Romantiker, der wie selbstverständlich perlende Läufe beherrscht und mit seiner gesanglichen Tongebung die Noblesse dieser Musik darstellt. Mit dem Mephisto-Walzer Nr. 1 von Franz Liszt schließt er den Konzertabend in einer solide virtuosen Interpretation ab, bei der man sich – was eher in der Platzierung im Programm nach den vielen expressiven Höhepunkten des Konzertabends begründet ist – einzig noch etwas mehr Mut zum diabolisch-humoresken Risiko wünschen möchte.
Claudia Zanatta, geboren 2000 und damit die jüngste der vier, ist an diesem Abend nur mit einem Werk, der berühmten zweiten Ballade von Chopin zu hören. Doch mit ihrer Interpretation spielt sie sich in die Herzen der Zuhörenden. Ihr Spiel besticht durch die Frische und Natürlichkeit ihrer Tongebung und den unaufgeregten Fluss, Zeit gebend für die Ausgestaltung der Melodien. Besonders in ihrer Darbietung der großen epischen Komposition fällt etwas auf, das als die Handschrift von Igor Cognolatos Schule gelten darf: Klang, Ausdruck, dramatischer Verlauf und der Umgang mit Zeit wirken nicht „gemacht“, sondern scheinen aus der Logik der Form im Wechselspiel von „In-Gang-setzen“ und Zuhören zu entstehen. In ihrer künstlerischen Verschiedenheit verbindet die jungen Künstler ihre ins Auge springende elegante Diszipliniertheit, ein gleichzeitig selbstbewusstes und bescheidenes Auftreten, das auf die gemeinsame Schule hindeutet. Ihre Musikalität basiert auf dem tiefen Verständnis der musikalischen Strukturen und des poetischen Hintergrunds der Werke und ist deshalb natürlich und nicht aufgesetzt. Sie strahlen Ruhe und Konzentration aus, es gibt keine „Gesten“, kein Schnaufen, dafür aber Aufmerksamkeit und Spannung vom ersten bis zum letzten Ton.
Das alles ist auf so beglückende Weise zu erleben, weil der große Steingraeber E-Flügel ihnen den ganzen Kosmos des Klavierklangs mit einer erstaunlichen Palette an Farben bietet.
Es ist schön, dass Venedig (und an diesem Abend Bayreuth) mit Igor Cognolato und seiner Klavier-Klasse einen solchen Schatz beherbergt und das Publikum im Steingraeber-Kammermusiksaal dankt mit langem Applaus.
Hannes Pohlit